Bremen-Brocken-Bremen, eine 24-h-Challenge

Bremen-Brocken-Bremen – Was ist das? Der BBB ist ein Self-supported Bikepacking-Marathon, der im Corona-Jahr 2020 ins Leben gerufen wurde. Also keine Begleitfahrzeuge, maximal vier Personen zusammen. Der zusätzliche Ansporn, unter 24 h zu bleiben bedeutet, dass man durchfährt. Ohne Schlaf.
Von unseren anfänglichen vier Rennradenthusiasten sind am Ende nur Tim und ich übrig geblieben. Ist vielleicht nicht jedermanns Sache, im Oktober 500 km nonstop zu radeln.

BBB – Start

Am Tag der Deutschen Einheit treffe ich mich mit Tim am Weserwehr in Bremen. Hier muss man starten und auch wieder ankommen. Dazu gehört auch, oben auf dem Brocken gewesen zu sein. Den Rest darf man sich aussuchen, aber egal welche Planung – unter 500 km geht man da nicht raus.

Tim ist wie ich ein Rennradfahrer mit Hang zu langen Distanzen. Er ist durchdacht und verlässlich, was ihn für mich zu einem idealen Partner für diese Tour macht. Wir haben uns also im Vorfeld gut aufeinander abgestimmt – was wir mitnehmen, was wir essen, wer welches Werkzeug hat. Es ist 18:38 Uhr als wir losrollen. Da es schon spät im Jahr ist, hatten wir uns vorbehalten, bei schlechtem Wetter die Sache abzublasen. Aber just an diesen beiden Tagen soll es sehr schön werden.

Bremen-Bocken-Bremen

Mit dem Rennrad 500 km zum Brocken

Wir haben aufgrund unserer Tests im Vorfeld entschieden, abends zu starten, die Nacht durchzufahren, um oben am Brocken den Sonnenaufgang zu genießen und bei Tageslicht die Rückreise anzutreten. Hat auch fast geklappt. Kaum fahren wir los, bricht die Dunkelheit über uns ein. Die Straßen werden bald sehr leer und der Wind schiebt von hinten. Wir fahren vom Start weg in Einerreihe. Das macht es unmöglich, sich zu unterhalten, aber das Fahren ist sehr effizient.

Ich spare an Tims Hinterrad circa 30 bis 40 Watt. Ohne dass wir darüber reden, pendelt sich zwischen uns ein Wechselrhythmus im 30 Minutentakt ein. Die ersten 100 km gehen mit einem Schnitt von fast 30 km/h rasend schnell dahin. In Peine, Kilometer 148, wollen wir in einer der 24/7 Tankstellen eine erste Kaffeepause machen und uns ein wenig wärmen, denn die Temperatur ist mittlerweile auf 5 Grad gesunken. Die Tanken sind jedoch alle im SB-Betrieb – aus der Pause im Warmen wird nichts. Nach 172 Kilometer finden wir in Salzgitter eine Aral und der Kassierer lässt uns rein, aber auch nur, weil ein Taxifahrer ihm am Nachtschalter sagt, er solle sich nicht so anstellen.

Wir bekommen Kaffee und belegte Brötchen vom Vortag, dafür aber geschenkt. Trailmagic. Unsere erste feste Mahlzeit. Wir werden noch viele Kaffees trinken, aber keiner wird mir so gut tun, wie dieser erste. Ich hatte die Temperatur der Nacht komplett falsch eingeschätzt. War mit Armlingen, Windweste und Sommerschuhen losgefahren. Schon nach 30 km war mir so kalt, dass ich dachte, abbrechen zu müssen. Das zweite Paar Socken und die Überschuhe, die ich für eventuellen Regen eingesteckt hatte, retten mich jetzt, genau wie die Winterjacke, die ich eigentlich nur für´s gute Gefühl mitgenommen hatte.

Die 200-km-Marke erreichen wir gegen drei Uhr nach über acht Stunden Fahrt und es fühlt sich noch immer easy an. Eine Stunde später, nach den ersten Höhnmetern, fängt es an zu regnen und unsere Pausen werden immer mehr. Die Aral in Wernigerode, die wir kurz vor dem Anstieg ansteuern, lässt uns nicht rein, aber wir bekommen immerhin Kaffee. Die Wärme des Getränks tut uns gut, denn das Spitzwasser von der Straße hat uns die Klamotten ganz schön durchnässt. Meine Füße sind trotz der Überschuhe nass.

Auf zum Brocken

Der Anstieg zum Brocken nach 230 km Strecke ist hart. Er zieht sich 27 Kilometer hin mit bis zu 14% Steigung. Tim hat in fast allen Beinmuskeln Krämpfe. 10 Kilometer vor dem Gipfel lässt er mich fahren und überlegt, auszusteigen. Der Gipfel wird von einem Nebeldunst umwabert, der so dicht ist, dass man kaum die Hand vor Augen sieht. Und die Temperatur fällt auf 1 Grad. Das Szenario ist fast ein bisschen gespenstisch.

Kurz bevor ich den höchsten Punkt erreiche, fängt der Tag zu dämmern an. Aber es ist kein Sonnenaufgang zu sehen. Das kompakte Schwarz ändert nur die Farbe in ein immer heller werdendes Blau. Oben pfeift der Wind. Ich mache nach dem 2-Stunden langen Anstieg das obligatorische Foto an der 1142-m-Tafel und finde die Toilette abgeschlossen: Wird erst um 9 geöffnet.

Aber es gibt einen Windfang davor. Ich snacke ein paar Nüsse und will mich auf die Suche nach Tim machen, als ich erfreut sein Geschnaufe aus dem Nebel wahrnehme. Er hat es tatsächlich noch hoch geschafft. Erstaunlich viel Wille in ihm.

Nach 13 Stunden und 259 km fahren wir mit 60 kmh den Berg runter. Ich habe alles an, was ich mithabe. Meine Hände und Füße sind so kalt, dass sie nur noch aus Schmerz bestehen. Unten im Dorf suchen wir rasch eine Tanke auf, die jetzt um acht Uhr morgens alle wieder geöffnet sind. Kaffee und belegte Brötchen im Warmen, herrlich. Auf der Toilette versuche ich meine klatschnassen Schuhe und Socken zu trocknen. Als ich meine nackten Füße auf den gefliesten Boden stelle, denke ich „nice, die haben Fußbodenheizung hier“, in Wahrheit sind die Steinplatten jedoch eiskalt. Trotzdem gelingt es mir, meine Füße wieder einigermaßen warm zu bekommen.

Tim und ich träumen jetzt von den prognostizierten 14° bei Sonne auf der Rückfahrt. So soll es kommen. Dennoch ist es nicht schön. Und uns dämmert jetzt schon, dass wir das gesteckte Ziel, unter 24 zu bleiben, nicht schaffen werden. Wir hatten für die dritten 100 Kilometer, die uns über den Brocken führten, 7 Stunden gebraucht.

Zurück nach Bremen

Wir radeln exakt denselben Weg zurück. Nur ist es jetzt Tag und der Autoverkehr rollt. Und jetzt wird uns klar, dass wir in der Nacht auf Landstraßen unterwegs waren. Teilweise ohne Radwege. Aber eben auch ohne den Verkehr, der jetzt so stark ist, dass es uns fast wahnsinnig macht. Die Sonne kommt raus und wärmt herrlich. Aber wir sind so abgeschunden, haben Gegenwind und mit dem Verkehrslärm on top nehmen wir das schöne Wetter quasi nicht wahr. Für das vierte Fünftel brauchen wir mit Pausen eine Gesamtzeit von fünf Stunden, die sich gefühlt unglaublich in die Länge ziehen und in uns reift die Einsicht, dass diese Strecke zum Radeln eine Vollkatastrophe ist. Die körperliche und mentale Belastung vor der wir jetzt stehen, ist kaum auszuhalten.

Tim möchte 115 Kilometer vor Bremen aussteigen. Wir machen eine Pause an einer Bäckerei. Ich war zuletzt viel vorne gefahren. Woher weiß ich nicht, aber in mir ist auf einmal wieder Kraft und Fokussiertheit. Tim lässt sich mitreisen, wofür ich dankbar bin. So wird mein Hinterrad seine Rettung und seine Anwesenheit gibt mir die Zuversicht und Sicherheit, die ich jetzt brauche. Wir schaffen es tatsächlich bis ins Ziel.

Wir verfehlen die 24-h-Marke mit 49 Minuten, aber sind stolz und glücklich es geschafft zu haben. Und es erwartet uns ein kleines Empfangskomitee am Weserwehr mit Getränken, kleinen Snacks und tüchtig viel Schultergeklopfe. Das tut gut. Und ich fühle mich gut. Alle Muskeln und Sehnen sind angestrengt, aber nichts tut akut weh, noch nicht mal der Allerwerteste.

Erfahrung Bremen-Brocken-Bremen

Bremen-Brocken-Bremen: Haken dran. Aber auf keinen Fall nochmal. Will man unbedingt 500 Kilometer am Stück fahren, was ich mittlerweile für ein bisschen viel halte, gibt es gewiss schönere Strecken als diese.

Habe ich Tipps für Nachahmer? – Ja!

  • Unterschätze den Brocken nicht. Er ist nicht hoch, aber der Anstieg ist lang und zehrend nach der langen Fahrt. Oben ist es kalt und windig. Entsprechend sollten Jacke, Hose/Beinlinge, Überschuhe mitgenommen werden. Der Vorteil, bei Sonnenaufgang oben anzukommen: man entgeht den Horden an Wanderern, die üblicherweise den Weg versperren.
  • Nachts ist schwer an Verpflegung ranzukommen. Wer abends startet sollte einen initialen Vorrat an Riegeln und Gels mitnehmen. Wir sind an zwei Stellen an Snackautomaten vorbeigekommen, aber diese kann man schlecht einplanen und die Tankstellen sind so gut wie alle im unbemannten Nachtmodus.
  • Fährst du alleine würde ich Oropax oder Kopfhörer empfehlen, um den Verkehrslärm reduzieren zu können. Was wiederum das Risiko im Straßenverkehr erhöht. Ich bin heilfroh, dass uns nichts passiert ist. In Deutschland sind Radsportler auf der Straße nicht besonders populär und viele Autofahrer haben uns das wissen lassen.
  • Gefühlte Sicherheit: In meinem Fall besteht sie oft aus dem zusätzlichen Riegel, der Reservelampe oder eben einer etwas wärmeren Jacke oder ein zweites Paar Socken, obwohl der planende Verstand sagt, dass es das nicht braucht. Die wasserdichte, warme Jacke mit ihrer Sturmkapuze hat mir das Leben gerettet. Eine Rapha Pro Team Insulated Jacket.
  • Während Tim gegen Ende nicht mehr wirklich sitzen konnte, hat mir mein neuer Sattel im wahrsten Sinne den Arsch gerettet. Ein Selle Italia SLR Boost Endurance Superflow in der Größe S3 (130 mm).
  • Keiner von uns hatte eine Reifenpanne. Tim setzte auf den Klassiker Conti GP 5000 S mit Schlauch, ich auf den Pirelli P-Zero Race in 30C und tubeless – super Fahrgefühl und Sicherheit in Kurven und auf nasser Fahrbahn. Danke an meinen local bike Dealer, Matthias von Wiegetritt, für die gute Beratung. Tubeless-Repairkit, Schläuche und CO2-Kartuschen hatten wir dennoch mit.
  • Kein Tipp, aber wen es interessiert – mein Rad: Ein Gravelrahmen vom chinesischen OEM-Hersteller Lightcarbon, Laufräder von 9Velo. Den Custombuild habe ich mit Sram AXS Force/Rival Komponenten mit 2-fach Antrieb ausgestattet. Gewicht mit Pedale 8,1 kg. Mit allen Ausrüstungsgegenständen und vollen Flaschen kam die Rig auf 14,5 kg.
  • Ein guter Tipp: fahr mit jemandem zusammen, die mentale Stabilität durch einen anderen Menschen ist enorm – vorausgesetzt, er passt zu dir.
  • Ein Insider Tipp: Koffeintabletten helfen dir, wenn du auf dem Rad oder während einer Pause einzuschlafen drohst, was bei mir vorkam.
  • Der wahrscheinlich beste Tipp: fahr´s im Sommer
  • Der wahrscheinlich nutzloseste Tipp: fahr was anderes, denn schön ist diese Tour nicht.

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