Ein Gravelrennen in Bremen, das gab es noch nie. Wir haben das Event bereits vorgestellt: Bremen555 Gravelrennen. Mit 182 anderen Teilnehmern gehe ich an den Start. 555 km querfeldein im Selbstversorgermodus. Ich werde mit der zweitschnellsten Zeit ins Ziel kommen. Hier erfährst du, was es dafür brauchte und wie es mir und anderen bei der Bremen 555 ergangen ist.
Inhalt

Vorbereitung auf das Gravelrennen
Es ist nicht mein erstes Mal, dass ich an einer solchen Veranstaltung teilnehme. Aber mein letztes Mal ist lange her: 2019 bei der Hansegravel (600 km) und im selben Jahr die Bikepacking Trans Germany (1.700 km). Aber ich mache seitdem öfters Urlaub im Bikepackermodus und fahre Langstrecke. Ich weiß also, was ich mitnehmen muss. Außerdem gibt es zwei Kennenlern-Rides im Vorfeld, bei denen ich Jochen treffe, der das Ganze ambitioniert angehen möchte.
Wir beide verständigen uns auf eine Übernachtung nach 335 km in Cuxhaven. Ich versuche mein Rad und Equipment so leicht wie möglich zu halten. 16,7 kg bringt es auf die Waage. Aber am Ende stecke ich mir dann doch so viel Essen ein, dass ich bei 19,5 kg lande. Zumindest kann ich auf die Regensachen verzichten, denn die Wetterprognose ist ideal: Sonne, aber nicht zu heiß.

Start der Bremen 555 in der Überseestadt
Als ich am 19.06.2025 um 8:00 Uhr morgens auf das ehemalige Kellogg´s Areal in Bremen rolle, erstaunt mich die Menge an Teilnehmern. Die meisten der ca. 180 Starter haben das Event-Trikot an, das in der Startgebühr inkludiert war. Ein Kamera-Team ist vor Ort und interviewt den Veranstalter Oliver Gehrking und ein paar Teilnehmer. Herausgekommen ist ein gelungenes Kurz-Feature zur Veranstaltung beim Lokalsender der ARD: Buten und Binnen
Ich stelle mich mit Jochen ganz vorne in die Startaufstellung und als Oli mit der Fahreransprache fertig ist, rollen wir kurz nach 08:30 Uhr los. Nach 100 m muss der erste schon anhalten, da seine schlecht fixierte Satteltasche (auch „Arschrakete“ genannt) am Hinterrad schleift. Tja, viele werden noch wegen irgendwas anhalten müssen und viele werden es nicht schaffen, denn der 570 bzw. 600 km lange Rundkurs ist härter als erwartet. Aber davon wissen wir am Start noch nichts. Ich gehe nach vorne und mache die Pace. Hin und wieder schaue ich prüfend über die Schulter, ob Jochen noch da ist. Ist er. Daher gehe ich davon aus, dass das Reisetempo für ihn passt.



Erster von 4 Checkpoints (Lüneburger Heide, km 134)
Kaum sind wir aus Bremen raus, geht es auch schon über kleine Wanderpfade, durch Waldgebiete und Schotterwege. Der Name des Rennens ist Programm. Allerdings sind die kleinen Waldtrampelpfade nicht leicht zu fahren. Kaum zögert jemand an einer Wurzel oder einer Kurve, zieht sich unsere Spitzengruppe auseinander. Sie zerfällt bald in kleinere Grüppchen. Ich bleibe bei meinem Reisebuddy Jochen. Und bald holen wir ein paar Ausreiser auch schon wieder ein: Das Vater-Tochter-Gespann Nikas und Kaya aus Bremen haben einen Platten.
Wir bieten Hilfe an und warten, bis sie mit Schlauchwechseln fertig sind. Sein Rad selbst reparieren zu können ist eine wesentliche Disziplin bei solchen Events. Im Wald stehend ist es nicht leicht, Hilfe zu bekommen, es sei denn von anderen Teilnehmern, die bei Gravelrennen in der Regel immer stehen bleiben. Als Kaya den zweiten Plattfuß erleidet, fahren wir weiter durch die Lüneburger Heide. Dieser erste Streckenabschnitt ist landschaftlich wunderbar.
Die Strecke ist allerdings schon jetzt herausfordernder als ich gedacht hatte. Vor dem ersten Checkpoint liegen Passagen mit Pulversand, durch die wir die Räder schieben müssen und schon das ist enorm anstrengend. Am Checkpoint erwartet uns Organisator Oli und er hat neben kleinen Stärkungen auch eine Siebträgermaschine auffahren lassen, die leckersten Kaffee liefert.
Zweiter Checkpoint (Hamburg, km 203)
Es trennt sich nun der Weg zwischen der 570-km-Variante und der 600er. Nikas, Kaya und manch andere nehmen die 600er, für mich, Jochen und Arno, der weiter mit uns fährt, geht es in die andere Richtung. Arno kommt aus Cuxhaven, möchte heute genau wie wir zum Übernachten dorthin und also nehmen wir ihn in unser Kleinstteam auf. Zu dritt geben wir Gas und lassen ein weiteres Dreiergespann hinter uns. Wir drehen jetzt bald Richtung Nordwesten nach Hamburg hoch und haben damit fortan Gegenwind für die restlichen 170 km des Tages.
Wir haben jetzt einige Abschnitte mit Straßenbelag, aber wo es möglich ist, führt uns der Track über Schotterpisten oder andere kleine Verbindungswege. In Hamburg durchqueren wir den Fahrrad-Elbtunnel und kurz danach, bei km 203 kommt der zweite Checkpoint. Die Seemannsmission empfängt uns mit Kaffee, Obst und Müsliriegel. Es ist jetzt schon 19 Uhr und wir haben noch ca. 130 vor uns. Mein Hintern tut zu diesem Zeitpunkt schon ordentlich weh. Das liegt an der unwegigen Streckenführung mit ständigen Erschütterungen.
Ich habe 40mm Reifen drauf und fahre mit wenig Luftdruck (ca. 2 bar), aber ich habe mir heue schon öfters gewünscht, dass ich die 50er Reifen aufgezogen hätte. Zudem hatte ich mir kurz vor der Mission einen Schnitt in den Hinterreifen reingefahren, den die Tubeless-Milch in meinem Reifen nicht abdichten konnte. Ein Plug schaffte jedoch schnell Abhilfe. Wir bedanken uns bei dem netten Herrn der Mission und rollen aus Hamburg raus und ins Alte Land hinein.



Gegen 22 Uhr erreichen wir bei km 265 Himmelspforten. Jochen und ich sind mittlerweile zu zweit. Arno ist ein starker Fahrer und ist in seinem eigenen Tempo Richtung Cuxhaven weitergefahren. In dem kleinen Örtchen finden wir eine Pizzeria, die gerade noch aufhat und uns eine Pizza macht. Während der Pause bricht vollends die Nacht über uns herein. Und die Temperatur sinkt ab. Ich freue mich jetzt über alle warmen Klamotten, die ich mitführe: Knie- und Armlinge, eine Windjacke, ein Buff unterm Helm und Lanfingerhandschuhe. Wir sind erschöpft, aber wir werden weiterfahren. In Cuxhaven erwarten uns auf einem Campingplatz eine warme Dusche und eine Matratze.
Für die letzten 70 Km werden wir uns über 4 Stunden durch die Dunkelheit kämpfen. Der Track geht natürlich weiterhin durch kleine Wäldchen mit Singeltrails und Schotterpisten, die in totaler Finsternis liegen. Jochen hat eine extrem starke Lupine am Lenker und meine Cateye GVolt100 macht auch tüchtig Licht. Aber es ist dennoch extrem anstrengend. Da wir nicht weit sehen können, fahren wir langsam und vorsichtig. Plötzlich auftauchender Pulversand wird Jochen zwei mal zum Verhängnis, aber ihm passiert nichts. Kurz vor Cuxhaven geht die Strecke noch 4 km durch die Dünen und wir müssen die Räder wieder schieben.
Um 02:30 Uhr kommen wir am Campingplatz an. Etwa 3,5 h nach unserem optimistischen Zeitplan. Ich snacke noch ein bisschen, richte mich in dem kleinen Wagen mit Matratze ein uns schreibe noch ein paar Nachrichten. Um 03:30 Uhr gehe ich binnen 2 Sekunden in der Tiefschlaf über.



Dritter Checkpoint (Wremen, km 365)
Am Freitag, 20.06., 07:00 klingelt mein Handy. Es ist Arno. Er fragt, wann wir weiter wollen, um sich zu uns zu gesellen. Wir verständigen uns auf 8:00 Uhr am Campingplatz. Ich gehe zu Jochen rüber, der schon wach ist. Wir putzen Zähne, verstauen unser Geraffel und dann ist auch schon Arno da.
Er hat zwar eine furchtbare Nacht verbracht, ist aber dennoch erholt und gut gelaunt. Wir brechen Richtung Bremerhaven auf. Mit Rückenwind. Das rollt richtig gut. Wir machen uns Hoffnung, dass wir am dritten Checkpoint in Wremen, 30 km nach unserem Start einen Kaffee bekommen. Aber leider ist dort außer dem Stempel für das Fahrtenbuch rein gar nichts, als wir um 9:30 Uhr dort ankommen. Ok, weiter zur Fähre in Bremerhaven.
Dort angekommen verpassen wir diese um eine Minute. Macht nichts. Die 20 Minuten Zwangspause verbringen wir mit Essen und Eincremen, denn die Sonne strahlt wieder von einem fast wolkenlosen Himmel. Auf der andern Weserseite sind es noch 20 km bis zum nächsten und letzten Checkpoint in Burhave (km 400), wo wir freundlich von eine Mitarbeiterin des Ferienzentrums der Arbeiterwohlfahrt empfangen werden und Kaffee bekommen.



Nach einer kurzen Rast geht es erneut mit Rückenwind weiter. Auf den guten Wegen am Deich bilden wir eine Dreierreihe und lassen es mit 32-35 kmh rollen. Mittlerweile wissen wir, dass uns ein Fahrer auf den Fersen ist. Und dass welche vor uns sind war uns ebenfalls klar. Die Dreierreihe wird sich später bezahlt machen, wenn wir auf der andern Seite des Jadebusens Richtung Wilhelmshaven wieder gegen den Wind fahren müssen.
Arno scheint auf seine Kosten zu kommen, wenn er vorne im Wind etwas mehr arbeiten darf als wir anderen beiden, während Jochen am Ende unseres Gespanns reintritt, um dranzubleiben. In der Mitte vermittele ich zwischen Lokomotive Arno und den um Anschluss kämpfenden Jochen. Und es wird gut aufgehen. Wir drei Fremde haben trotz unterschiedlicher Leistungsniveaus ein gutes Teamwork und wir haben das Gentlemen Agreement, dass wir zusammen ins Ziel fahren werden. Kurz vor Wilhelmshaven überholen wir Cox.
Er ist 60 Jahre alt, hat die 600er Variante gewählt und ist die gesamte Nacht durchgefahren. Was ein Kerl. Aber unser Angebot, sich in unseren Zug einzureihen, schlägt er aus. Und wenig später passiert, was wir haben kommen sehen: der hinter uns Fahrende holt uns ein und lässt uns kommentarlos in einem Waldstück hinter sich. Damit ist der Druck für uns nun endgültig raus.



Zieleinlauf Bremen555
Bei km 525 rollen wir in Brake ein und Arno spendiert uns ein Eis an der ersten Tankstelle. Dort treffen wir auf den Fahrer, der uns überholt hatte. Er ist zwischendurch gestürzt, sein Arm ist bandagiert, aber es geht ihm gut. Nach der Eispause rollen wir bei km 535 auf das Huntesperrwerk zu. Die Brücke, die nur jede Stunde kurz unten ist, ist um 17:09 Uhr gerade noch passierbar und wir rollen mit einem kleinen Sprintduell zwischen Arno und mit rüber.
Damit ersparen wir uns eine 5 km lange Umfahrung. Zu dem Zeitpunkt wissen wir noch nicht, dass der andere, vor uns liegende, auf der Umfahrung ist. Erst ca. 15 km vor dem Ziel fällt Arno auf, dass wir vor ihm sind. Jetzt mobilisieren wir dann doch noch die letzten Körner und fahren ernsthaft. Um 20:30 Uhr kommen wir nach 36 h Gesamtzeit (24 h Fahrzeit) und ca. 2 Minuten vor unserem Verfolger ins Ziel. Also Oli uns damit überrascht, dass wir die Zweiten sind, die ankommen, ist unser Jubel überbordend. Damit hatten wir nicht gerechnet.
Das Feld hatte sich von Anfang an ziemlich schnell in die Länge gezogen und einige Fahrer konnten sich früh nach vorne absetzen, sodass uns der Überblick verloren ging. Wir haben uns richtig lang gemacht und die Tour war strapaziös. Der zweite Platz fühlt sich wie eine willkommene Ehrung an. Herrlich.



Epilog
570 km im Selbstversorgermodus durchs Gelände. Das darf nicht mit einem Straßenrennen auf Asphalt verwechselt werden. Das ständige Gerüttelt am Rad, Wurzeln und Schlaglöcher machen den Körper mürbe. Steilpassagen durch Wälder und Pulversand machen extrem langsam. Und es zieht das Fahrerfeld auseinander, sodass man nicht auf große Gruppen mit Windschatten hoffen kann. Hier ein paar Dinge, die ich und auch die anderen aus unserem Team richtig gemacht haben:
- Jochen und ich hatten zu essen mit. Das machte unsere Nahrungsaufnahme extrem flexibel. Bei jeder Pinkelpause konnte leicht ein Brot oder ein selbstgemachter Müsliriegel als feste Kohlenhydratquelle nachgeschoben werden
- Ich persönlich hatte in einer meiner Flaschen Zuckerwasser (siehe diesen Beitrag dazu). Das hat mich während der Fahrt gut mit Energie versorgt
- Das Rad nicht zu schwer beladen. Also nur das Notwendigste mitnehmen. Zelt hatte ich zu Hause gelassen. Ursprünglich wollte ich in einer Schutzhütte schlafen, aber wegen der Mückengefahr schloss ich mich Jochen zum Campingplatz an. Meine Isomatte hatte ich für´s gute Gefühl dennoch mit, aber ich hab sie nicht verwendet. Neben dem Mückenspray war das der einzige Gegenstand, den ich nicht benutzt habe
- Was ich in den Radtaschen hatte. Das ist immer eine recht interessante Frage, denn die Bikepackingtaschen sind wahrlich nicht groß und man fragt sich, was die Teilnehmer darin verstauen. Hier die Auflösung für meine Taschen:

In der Arschrakete hatte ich das Schlaf-Equipment: Isomatte, Schlafsack, Mummyliner, Kopfkissen, Kulturbeutel, Mückenspray, leichte Daunenjacke, faltbare Schüssel und eine Portion Essen (türkischer Bulgur, nicht auf dem Bild)
In der Rahmentasche warme Klamotten und Essen: Arm- und Knielinge, Sockenschuhe, Unterhose, Windjacke, Windweste, Buff, Handtuch, Radmütze, Luftpumpe, Werkzeug, Ersatzschlauch (für alle Fälle), Rescuedecke, Radlampe, Nachschub an Riegeln und meine 6 Sauerteig-Vollkornbrote (nicht auf dem Bild).
Oberrohrtasche: Alles, was ich im schnellen Zugriff während des Fahrens brauche. Riegel, Schloss, Kopfhörer, Mikrofone, Powerbank, Ladekabel, Kopflampe, Sonnencreme, Lesebrille, Actioncam
Zudem hab ich drei Trinkflaschen á 600 ml, die ich an die Gabel und am Unterrohr befestige. Mein Rad ist ein Eigenbau. Der Rahmen kommt vom chinesischen Hersteller Lightcarbon, wiegt 1150 g, ist mit Halterungsösen übersäht und kann Reifen bis 52 mm aufnehmen. Die Laufräder kommen ebenfalls von China: 9Velo, 35mm Höhe bei 26 mm Maulweite. Der Laufradsatz wiegt gerade mal 1.300 g. Bereifung ist eine Mischung von Tofus Thundero und Speedero, jeweils in 40mm Ausführung. Am Carbon-Aerolenker lässt sich kein Triathlonaufsatz befestigen, daher muss es ohne gehen. Aber die Strecke mit unter anderem 45 km Singletrails, 42 km Kopfsteinpflaster und 170 km losem Untergrund hätte die Nutzung von Aufliegern nicht viel möglich gemacht.
Oli hat vor, das Ganze in 2026 zu wiederholen. Vielleicht fahre ich erneut mit. Bis dahin werde ich vergessen haben, wie hart es war 😉